Im November 2016 besuchte ich Berlin für eine kurze Woche. Ich kam, um Freunde zu besuchen und Berlins Alltag zu erkunden. Da sich meine bisherigen Reiseerfahrungen hauptsächlich auf südeuropäische Destinationen beschränkten, beeindruckte mich der niedrige Himmel und die weiten Leerflächen Berlins. Ich wollte Berlins Charakter erfassen.
Während meines Aufenthalts redete ich mit vielen Leuten. Ich bat sie, sich Berlin als Person vorzustellen; wer würde es sein, was würde diese Person tun und was für Kleidung würde er oder sie tragen? Ist Berlin männlich oder weiblich oder vielleicht ohne Geschlecht? Würdest du mit Berlin, als Person, eine Unterhaltung führen, was würdest du sagen? Was hörst, siehst und riechst du? …
Wenn sich Leute ihre Stadt als Person vorstellen, sehe ich, wie eine neue Verbindung entsteht. Der/Die ErzählerIn erfährt sich selbst in einer neuen physisch und zeitlich begrenzten Form.
Berlin als verschiedene Personen und durch andere Personen zu erforschen, belebt den Charakter der Stadt ungemein. Es zeigt verschiedene Perspektiven auf, es lässt uns den Lärm oder die laute Stille verstehen; vielleicht lässt es uns sogar lernen diese anzunehmen und zu umarmen – all die dunklen Gassen und regnerischen Gedanken in ihnen. Berlin als Person, kann sich als unbekümmertes Mädchen, als sensibler Mann oder nicht geschlechtlicher Mensch zeigen. Er raucht in den Küchen seiner Freunde, hört Rufus Wainwright… er nimmt den Schmerz und das Leben an! Seine Zukunft ist elektrisch, über ihm die Regenbogenfahne! Berlin ist nicht hübsch; Berlin muss immer wieder und immer neu entdeckt werden…
Die folgenden illustrierten Geschichten/Gedichte sind Auszüge aus den bereits erwähnten Interviews.. Die Originaltranskriptionen wurden an verschiedene europäische KünstlerInnen weitergeleitet. Manche kannten Berlin, manche nicht. Die meisten IllustratorInnen kannten die ErzählerInnen, welche sich Berlin als Person vorstellten, nicht. Die Illustrationen und Gedichte werden noch in Postkarten umgewandelt und auf dem cityasaperson blog, facebook und Instagram veröffentlicht (https://www.facebook.com/cityasaperson/).. Um sich Berlin in Verbindung zu anderen Menschen und Orten des Projekts anzugucken, klicke auf diese interaktive Kumu Karte: hhtps://embed.kumu.io/84adea6333bd13ea7c62c0c
Wenn ich mir Berlin als eine Person vorstelle, sehe ich eine Küche, voll mit Zigarette rauchenden Leuten, die sich später auf den Weg in Bars und Clubs machen. Berlin würde eine von diesen Personen sein. Berlin würde ein Mann sein. Er ist ein leicht Mitleid erregender Junggeselle. Er ist in den Vierzigern, würde aber gerne jünger sein. Dies macht ihn kindisch. Berlin und ich, wir würden uns eventuell sehen und ein hey und hallo austauschen, aber meistens beobachte ich ihn nur. Was ich sehe, ist eine Person die nicht ihrem Herz folgt, die Angst vor Veränderung hat. Er hat einen Job in der Wirtschaft, dem Journalismus oder dem Management, aber er ist davon nicht begeistert.
Vielleicht hat er eine Tasche bei sich, darin ein Buch, wahrscheinlich irgendeinen Bestseller. Aber er ist sehr praktisch veranlagt, er hat sein Handy und seinen mp3 Player mit und eine Jacke falls es kalt werden sollte.
Irgendetwas fehlt… , als ob sein Leben nicht wirklich seins wäre, als wenn sein Leben leer sei. Warum macht er es nicht einfach „auf seine Weise“, warum beginnt er nicht wirklich sein Leben zu leben? Stattdessen spüre ich nur Winter und sehe ihn als statisch, fast als wäre er ein Stein oder sogar Beton…
Erzähler: Fergus aus Großbritannien
Illustrator: Romina Cristi aus Chile, wohnhaft in Großbritannien
Übersetzer: Franziska Knierim aus Berlin
Überall ist Erde und Grün und Wasser. Ich gehe dicht an das Wasser, dicht an den Kanal. Und die Seen. Obwohl das Meer ziemlich weit weg ist.
Berlin… Ich sehe sie am Abend. Ich treffe mich mit Berlin ab und an nach der Arbeit. Und dort beginnt alles … so lang ich mich erinnern kann ist es da. Sie berührt mich häufig, doch festgehalten fühle ich mich nicht.
Manche sagen sie sei arm und sexy. Sie neckt einen jeden Tag, sie beschäftigt dich und hält dich auf Trab. Berlin ist eine komplizierte Freundin. Es ist nicht einfach, aber es ist auch sehr verlockend und aufregend. Es gibt immer wieder neue Dinge in ihrem Charakter zu entdecken.
Erzähler: Ricardo aus Portugal
Illustrator: Vera Ziegler aus Deutschland
Übersetzer: Franziska Knierim aus Berlin
Es ist ein Gemisch
aus allem –
aus Geschlechtern
Interaktionen
Erfahrungen
Verzweiflung
Aber auch Freiheit
Es gibt zu viel
von allem –
von Alkohol,
Sonne,
Drogen und
Schokolade
Es gibt keinen Frieden
in Berlin
Elektronisch
ist die Zukunft
wie die U-Bahn;
Polizeisirenen und
Schwitzende Menschen
Und dann
1920er Musik
Viele Male stand ich an einer Ecke
(Die Sonne schien und der Regen fiel)
Ich zündete meine Zigarette an
Und beobachtete
Menschen
Gerüche
Zeiten
Kommen und Gehen
Zwischen Scheiße und Pisse
Kaffee und Rosen
Da ist Berlin
Unter der Regenbogenfahne
Worte zurückhaltend
Geschichten erzählend
Über verschiedene Welten
Über uns
Kommen
und
Gehen
Erzähler: Domenico aus Deutschland
Illustrator: Luka Dundur aus Kroatien
Übersetzer: Franziska Knierim