Zeynep Disbudak
Übersetzt von Joanna Mitchell
Meine erste Begegnung mit Ostern habe ich, überraschenderweise, in meiner frühen Kindheit gemacht. Es ist überraschend, angesichts der Tatsache, dass ich Bürgerin eines „muslimischen“ Landes bin, dessen Umgang mit den eigenen nicht-muslimischen Gruppen von einer historisch unauslöschlichen Gewalt geprägt ist. Ein Land, in dem wir nach getrennten Kalendern und in unterschiedlichen Realitäten quasi nebeneinander herleben. Aus meiner Kindheit sind mir österliche Erinnerungen ans Eiermalen oder an das Basteln von einfachen Ornamenten geblieben, doch diese Erinnerungen sind verschwommen. Ich denke, ein Grund dafür war, dass Ostern für mich nur eine Art Extra-Ferien waren, wenn meine „fremden“ Lehrer nach Hause fuhren, um dort Ostern mit ihren Familien zu feiern. Aber ich erinnere mich auch, dass ich den Sinn von Ostern nicht verstehen konnte. Meiner Erinnerung zufolge wurde mir erzählt, Ostern sei Jesus‘ Geburtstag. Doch wie war das möglich? Ich wusste ja schon längst, dass Jesus den gleichen Geburtstag hatte wie meine Mutter – am 25. Dezember. Und ich, als Siebenjährige, fragte mich, wie in aller Welt ein Prophet, wie Mohammed, denn zweimal geboren werden konnte. Ich beschloss, dass ich von alledem nichts glaubte. Ebensowenig glaubte ich der Präambel von der Spinne, die ihr Netz am Eingang der Höhle spann, wo Mohammed sich versteckte, um den mächtigen Propheten zu beschützen.
Die Vorbereitungen und die Geschichten, die Ostern umgaben, erschienen mir beim Älterwerden „kindisch“; vielleicht lag das aber auch daran, dass ich nicht mehr dazu verpflichtet war, im Kunstunterricht Ostereier anzumalen. Ich hatte Schulen gewechselt, die Lehrer*innen, die diese fremden Feiertage pflegten, schienen aus meinem Leben verschwunden zu sein. Und zwar in solchem Maß, dass ich davon unberührt blieb – ich habe ehrlich gesagt nicht den leisesten Schimmer, wie das alles verschwand.
Jahre vergingen, und 2015 kam ich nach Deutschland, wo ich allen möglichen Kulturen begegnete, wo ich die Außenseiterin war. Doch seltsamerweise war 2020 das erste Jahr, in dem ich wahrhaftig ein „echtes“ Ostern erlebte.
Jahre vergingen, und 2015 kam ich nach Deutschland, wo ich allen möglichen Kulturen begegnete, wo ich die Außenseiterin war. Doch seltsamerweise war 2020 das erste Jahr, in dem ich wahrhaftig ein „echtes“ Ostern erlebte. Deutsche kehren über Ostern meistens in ihre Heimatstadt zurück, während „wir“ als Minderheit entweder in der Stadt zurückbleiben, oder die Feiertage nutzen um unsere eigenen Familien zu besuchen – sofern wir die Mittel dazu haben. Doch dieses Jahr liefen die Dinge alles andere als normal. Durch das Coronavirus waren alle in ihren Wohnungen eingesperrt, auch meine deutschen Mitbewohner*innen. Und so kam es, dass wir eine Woche vor Ostern feststellten, dass wir demnächst einen Großeinkauf machen mussten, da die Läden über die Feiertage geschlossen sein würden. Aus irgendeinem Grund hatte ich plötzlich große Lust eine Party zu schmeißen, und fragte meine Mitbewohner*innen, ob wir diese Ostern nicht so feiern könnten, wie sie es sonst zuhause bei ihren Familien täten.
Mein rationales Hirn blendete dabei alle Zweifel aus, die es einmal über die bizarren Geschichtsgeflechte aus Spinnen und Wiedergeburten hegte. Es stellte sich heraus, dass Ostern, was in meiner Erfahrung bisher auf Eiermalen und 2D Häschenprofile beschränkt war, in jeder Familie anders gefeiert wird. Doch eine gemeinsame Tradition stach hervor: am Ostersonntag, nach einem ausgedehnten, großen Familienfrühstück, werden bei jeder Familie kleine Eier aus Schokolade im ganzen Haus versteckt, und anschließend in allen Ecken und Winkeln des Hauses gesucht – eine Art Schnitzeljagd. Im Vergleich zu unseren islamischen Feiertagstraditionen, wo die maximale Anstrengung von Seiten des Kindes darin besteht, sich über die Hand der Familienältesten zu verbeugen, diese zu küssen und an die eigene Stirn zu ziehen, erfordert diese Schnitzeljagd einen erheblichen Körpereinsatz.
So sausten wir also in den Supermarkt und kehrten mit diversen Frühstücksartikeln und einer Tüte voll Diabetes-induzierender Schokoladenostereier nach Hause zurück. Am Sonntag frühstückten wir, von 15-minütigen Kirchenglockenläuten begleitet, auf unserem Balkon und hielten etwas witzige Oster-Dankesreden. Dann gingen wir nacheinander ins Haus und versteckten die Eier überall. Nachdem diese Platzierung abgeschlossen war, begann die Jagd nach den kleinen Leckereien. Ich ging in jede Ecke der Wohnung, kletterte auf Oberschränke, warf mich auf den Boden, wühlte durch Schubladen. Während der Suche nach den Schokoladeneiern lernte ich mein eigenes Zuhause besser kennen, den Raum, den ich bewohne, und betrat auch die Räume und Leben der Anderen. Meine Mitbewohner*innen wurden zu meinen neuen Spielkameraden – wir lachten, rannten, hüpften gemeinsam, und verbrannten das, was wir gegessen hatten.
Anderseits, an meinem Ende, war es ein friedliches Gefühl, die Wärme eines Zuhauses zu spüren, weit weg von dem Ort und den Menschen, die ich bislang mein Zuhause genannt hatte. Und außerdem: sich wie eine Siebenjährige zu fühlen – das war der Punkt, der mich überzeugte. Einerseits fühlte ich mich wie ein Kind, mit einer anderen zeitlichen Wahrnehmung, andererseits stand ich still wie ein alter Mensch, der in der Vergangenheit schwelgt.
Von allem anderen abgesehen, merkte ich beim Rückblick am zweiten Osterfeiertag auf den ersten, wie sehr ich die Feiertage vermisste, die ich früher mit meiner Familie verbrachte. Auch wenn ich keine Familie habe, die die muslimischen Feiertage im traditionellen Sinne feiert, habe ich diese Traditionen nie um ihrer selbst willen genossen. Um es breiter zu fassen, geht die Bedeutung dieser Feiertage für uns Kinder nicht viel weiter als das Grübeln, „wieviel Taschengeld bekomme ich wohl dieses Mal?“; als die langweiligen, aber verpflichtenden Sitzungen mit irgendwelchen, dir unbekannten Verwandten dritten Grades, die nach Zwiebeln riechen und dich vor lauter Zuneigung kneifen; oder als die Schuldgefühle für das ganze leckere Essen, insbesondere für das Verspeisen von Teilen eines geopferten Tieres – ich hoffe die Leser*innen dieses Textes mussten noch nie durch das Kindheitstrauma hindurch, bei der Schlachtung von Tieren für das Eid Qurban Fest zuzuschauen, was leider vor allem für die kleinen Jungs einer Familie ein sehr gebräuchliches Ritual bleibt – ; und dennoch, trotz alledem, ist die Familie immer irgendwie zusammen, jedes Mal.
Einerseits war es ein ergreifender Moment, das melancholische Lächeln meiner Mitbewohner*innen mitzuerleben, die nicht mit ihren Familien zusammen sein konnten, aber irgendwie diese neue Tradition mit einer „anderen“ Familie genossen.
Anderseits, an meinem Ende, war es ein friedliches Gefühl, die Wärme eines Zuhauses zu spüren, weit weg von dem Ort und den Menschen, die ich bislang mein Zuhause genannt hatte. Und außerdem: sich wie eine Siebenjährige zu fühlen – das war der Punkt, der mich überzeugte. Einerseits fühlte ich mich wie ein Kind, mit einer anderen zeitlichen Wahrnehmung, andererseits stand ich still wie ein alter Mensch, der in der Vergangenheit schwelgt.
In Zeiten wie diesen, wo wir in unseren Wohnungen gefangen sind, und in denen das Zuhause sein weniger Ruhe als auch einen Hauch von Unwohlsein vermittelt, war mein Osterfest in gewisser Weise ein berauschendes. Ich steckte in Berlin fest, ja, aber ich fühlte mich ein wenig mehr „zuhause“ in meiner Wohnung, und die Eids meiner eigenen Kindheit erschienen mir nicht mehr so beängstigend oder verwirrend. Bestimmt ist dies eine naive Sicht auf die Dinge, die viel Reflektion erfordert – und trotz dieser Einschränkung möchte ich das Gefühl nicht zerstören. Um es kurz zu fassen: ich kann nicht behaupten, dass dieses Osterfieber mich hat wieder auferstehen lassen. Und doch hat es mir, mit Gelächter und überschwänglicher, bittersüßer Freude, neues Leben eingehaucht.