Heimat / Home ist eine Trilogie: Drei Texte von drei Autor*innen treffen in drei aufeinanderfolgenden Wochen auf unserem Blog aufeinander, begegnen und inspirieren sich. Sie alle kreisen um die Frage: Was bedeutet Heimat /Home für mich?

Hei·mat

die Heimat (Subst) kein Plur.

Text und Illustrationen von Guillermo Alberto Diaz Morales

Heimat ist eins der beliebtesten Wörter, die ich in den letzten Jahren in Deutschland kennengelernt habe. Das heißt also, es ist eins von vielen. Aber was bedeutet Heimat für mich? Politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Kontexte machten aus „Heimat“ auf einmal ein „Superstarwort“, das in allen Medien auftauchte. In den letzten Jahren war die so genannte „Flüchtlingskrise“ eines der wichtigsten Themen, manchmal wurde über nichts anderes geredet. Die Problematik war groß und sehr komplex. Das Thema kreiste meines Erachtens meist nur um diese eine Frage: Die Frage nach der Heimat.

Das Superstarwort stand auf einmal überall im Fokus (obwohl migratorische Bewegungen seit Ewigkeiten Thema sind, in Europa besonders seit dem 2. Weltkrieg). Auf einmal haben sich alle gefragt, was Heimat heißen soll, sogar die Deutschen, die „schon immer“ in Deutschland gelebt haben.

Ich bin „zweifacher“ Migrant, und für mich handelt es sich bei dem Heimat-Begriff nicht mehr um einen Raum oder einen Ort, sondern um die Menschen, die mein Leben ausmachen.

Es dauerte 18 Jahre, bevor ich Kolumbien, den Ort, wo ich geboren wurde, wieder besuchen konnte. In Spanien wurde ich meistens einfach als Migrant wahrgenommen. Ich fand dort über all die Jahre nie eine richtige Heimat, aber ich fand viele vorübergehende Freunde, von denen nur einer übriggeblieben ist. Hauptsächlich, weil ich das selbst so wollte. Keiner will Freunde haben, die den Wert und Einfluss der eigenen Geschichte und der eigenen Kultur nicht verstehen (oder nicht verstehen wollen). Generell fühlte ich mich in Spanien ständig fremd und irgendwie weniger wert. Obwohl ich dort aufgewachsen bin, kann ich nicht behaupten, dass Spanien meine Heimat ist.

Hier in Deutschland fand ich eine neue Heimat. Das ging relativ schnell. Ich lernte tolle Menschen kennen, mit denen ich mich sehr wohl fühlte, die mich respektierten und mich sehr schätzten. Ich verbrachte viele Tage mit ihnen, und mit der Zeit lernten wir alle gemeinsam das Leben verstehen und teilten Trauer und Freude, ohne uns zu trennen. Plötzlich verstand ich das Wort Heimat, und das, weil ich mich zum ersten Mal seit meiner Kindheit und Jugend, weit weg von „Zuhause“, bei meinen Freunden wieder zuhause fühlte.

Auf einmal hatte ich zwei Familien: plötzlich war es Dezember; Weihnachten nahte und meine neuen Freunde luden mich ein, Weinachten mit ihnen zu verbringen. Es wurde aber von meiner Familie in Spanien erwartet, dass ich zu ihnen, zu meiner „biologischen“ Familie fliege. Plötzlich musste ich mich zwischen einem Weinachten mit meiner „echten Familie“ und meiner „neuen Familie“ entscheiden. Da musste ich mich fragen: „was heißt Familie?“ „Familie heißt doch Heimat“, dachte ich, „aber was bedeutet denn dann Heimat jetzt für mich?“ Ich hatte immer angenommen, dass meine Heimat Spanien ist.

Was bedeutet denn dann Heimat auf einmal? Diese Frage könnte der Slogan von einer Werbekampagne für Migration sein, falls jemand jemals vorhat, Migration auf „Cable-TV“ zu bewerben.

„Sind dir Heimat und Vergangenheit wichtig, aber du hast keine Lust den Krieg oder die Armut weiter zu ertragen? Keine Sorge! Wir haben die Lösung! Verlasse alles, was du kennst und liebst und komm mal rüber! Es kann bitter werden, aber besser als dort zu bleiben.

MIGRATION! Was bedeutet denn dann Heimat auf einmal?“

Nein, so schlimm war das nicht. So schlimm ist es nicht. Meine ganze Familie habe ich jahrelang nicht mehr gesehen, meine Mutter seit drei Jahren, meine Cousinen, Onkels, Tanten, Oma seit achtzehn Jahren nicht. Ich vermisse sie immer mal wieder, aber meistens nicht. Ich bin von tollen Menschen umgeben, die ich liebe und die mich lieben. Manchmal vergehen Monate bevor ich meinen Vater oder meine Schwester anrufe. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen. Mein Vater sagt mir immer wieder: „Verlier dich nicht so sehr. Vergiss nicht, dass deine Familie das allerwichtigste ist, was du hast und je haben wirst. Denn wenn du alles verlierst, wird nur deine Familie für dich da sein.“

Nach den letzten Jahren kann ich behaupten, mein Vater hat Recht. Familie ist das Wichtigste, was ich habe und je haben werde. Ich habe aber mittlerweile eine eigene Idee davon, was Familie ist, was ich darunter verstehe.