Im Mai 2020 riefen wir euch auf Facebook und Instagram dazu auf, uns ein Foto, eine Illustration, ein kurzes Video, GIF oder einen Satz über euer neues Ritual zu schicken, zusammen mit eurem Namen und Wohnort. Welches neue Ritual habt ihr in euren Alltag integriert oder wiederentdeckt? Intensives Händewaschen, die gym app, mit Pflanzen sprechen, Brötchen backen, den Gang um den Block…?
Dies ist die kreative, kollaborative Reaktion von
Shruti Naik (Illustrationen) und Adèle Moriconi (Text), Berlin
„Die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter.“
Hmmm, selbst die Sonne hat also ein Ritual. Haben denn alle ein Ritual? Zählt das morgendliche Tee- oder Kaffeetrinken als Ritual? Oder ist das nur eine Gewohnheit? Ist es lächerlich ein Ritual zu haben, tötet es jegliche Form der Kreativität ab, oder ist es einfach nur gerade im Trend? Hat es irgendetwas mit dem empfohlenen Lock-Down in Berlin zu tun? Oder haben alle ein heimliches Ritual, was sie niemals teilen?
Seit Januar habe ich aufgehört zu meditieren. Ich fand immer wieder Ausreden: ja später, morgen, ich bin zu müde, ich hab gerade das Licht ausgemacht, ich bin gerade so motiviert zu arbeiten, ich will mir einfach die Zeit nicht nehmen.
Während des pandemiebedingten Lock-downs scheinen alle ganz verzweifelt nach einem Ritual zu suchen, denn, wie manche zu sagen pflegten, „lasst uns bloß keine Zeit verlieren in dieser ganzen Freiheit“
Nun ja, in meiner Situation, hatte ich – abgesehen von ein paar festgelegten Meetings – keine bestimmte Struktur: selbst die Anmeldung meiner neuen Wohnung beim Bürgeramt durfte verschoben werden. Meine Mitbewohner*innen hatten auch die Stadt verlassen, also war ich ganz allein in meiner riesigen Wohnung und vollkommen frei. Allein, und frei zu MEDITIEREN.
Ich lud die App „Petit Bambeau“ herunter und begann mit den ersten Audio-Lektionen, um nochmal ganz von Anfang an das Meditieren zu erlernen, ich hörte mir die App an und meditierte zweimal am Tag. Jetzt sind es schon 3 Wochen.
Ähhhh! Es funktioniert nicht!
Das war vielleicht erfolglos! Selbst wenn es sich gut anfühlt, 10 Minuter pro Tag ganz für mich allein zu haben, in völliger Stille, und selbst wenn es mich eigentlich glücklich und stolz macht, mir diese Zeit für mich zu nehmen, naja…
Es gibt immer noch diese Stimme in meinem Kopf, die mich auf meine kleine Reise begleitet. Sie macht mich auf meinen schweren Kopf voller Gedanken aufmerksam, und ich sehe keine Anzeichen von Fortschritt oder Verbesserung.
Also, warum beginnen wir ein Ritual wenn alles schiefläuft, und beenden es wenn alles gut ist? Erlaubt und hilft uns ein Ritual dabei, eine positive Balance zu halten, ohne dass wir überhaupt etwas davon wissen?
Nun ja, ich denke das ist in Ordnung, denn kleine Details führen zu langsamen, großen Veränderungen. Schritt für Schritt. Und deswegen vertraue ich einfach, ich weiß nicht genau auf wen oder was, aber ich meditiere weiter.
Und nochmal: die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter.