Safe Cities
„Der Film “Safe Cities” handelt von drei Menschen, die sich nicht kannten und die aus verschiedenen Gründen, von verschiedenen Orten und auf verschiedenen Wegen nach Berlin gekommen sind. Der Film zeigt eine Türkin, einen Mexikaner und einen Syrer, die miteinander ins Gespräch kommen über die verschiedenen Dimensionen von Migration, Zugänge zur Gastgesellschaft und das soziale und emotionale Gepäck, das eine solche Erfahrung mit sich bringt. Durch diese intersubjektive Begegnung werden neue Fragen aufgeworfen, wobei Berlin sich als eine materielle Landschaft aus fragmentierten Wegen und umkämpften Existenzen darstellt.“
„Safe Cities“ ist ein gemeinschaftliches Filmprojekt. Es wurde im Rahmen eines Kurses über ethnographisches Filmemachen am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin realisiert.
Idee
Wir beschlossen, einen Film über uns selbst zu machen: Eli (aus Syrien), Zeynep (aus der Türkei) und ich: Juan (aus Mexiko). Die ursprüngliche Idee war, Selbstporträts zu schaffen, ausgehend von der Frage nach unseren „Ängsten und Hoffnungen“, dessen was wir gemeinsam hatten, was uns veranlasst hatte, unsere Städte zu verlassen und nach Berlin zu kommen, wovor wir wegliefen und welche Erwartungen wir hatten.
Bedenken
Trotz der Attraktivität der Idee hatte Zeynep Bedenken, weil wir uns filmen wollten, während wir über unsere persönlichen Erfahrungen sprachen. Sie fragte sich, ob sie wirklich bereit sei, sich intimen Fragen zu stellen. Mir erschien das weniger problematisch und ich dachte, dass die Idee sogar großes therapeutisches Potential habe. Ich sagte, dass wir in jedem Fall selektiv mit Informationen umgehen würden und damit, wie wir die Dinge beschreiben. Sie hielt dagegen, dass es weniger um das Offenbaren von Informationen ging, sondern um möglicherweise schwierige Emotionen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssten, während wir ein Narrativ über uns selbst entwickelten. Letztendlich ist ein Narrativ immer nur ein Narrativ, und es wird der tatsächlich gelebten Erfahrung nicht gerecht. Die Dinge, die wir hinter uns lassen, vergessen oder bewusst verheimlichen, können schwer auf uns lasten, wenn wir im Laufe der Zeit feststellen, dass wir bestimmte Ängste hatten, dass wir nicht mutig oder reif genug waren, um uns bestimmten Situationen zu stellen, oder wenn Dinge passieren, die vergangene Erfahrungen auf eine unangenehme Art in ein neues Licht rücken. Wenn wir ohne Kamera ein Interview geben, ist es leicht, all dies zu vergessen, während unser Gedächtnis ein für uns tröstlicheres Narrativ konstruiert. Aber wenn wir dabei gefilmt werden, dann gibt es kein Zurück: Wir sind dann mit einer größeren Verantwortung konfrontiert, den anderen Menschen gegenüber, aber vor allem auch gegenüber uns selbst.
Drei werden
Einige Wochen bevor wir mit dem Projekt begannen, traf ich Eli, einen syrischen Geflüchteten, der einer meiner engsten Freunde in Berlin wurde. Mir kam der Gedanke, dass, wenn wir seine Erfahrung, die ganz offensichtlich intensiver war als Zeyneps und meine, in den Film aufnehmen könnten, wir dadurch interessante Einsichten gewinnen und den Film noch „relevanter“ machen könnten. Ich sprach vor Beginn des Filmprojektes mit ihm gesprochen und erklärte ihm, dass es Teil eines Kurses an der Uni war, aber er war nicht interessiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte er keine Wohnung und war in einer furchtbar komplizierten Situation mit den Behörden (deren direkter Zeuge ich später während der Arbeiten an unserem Film wurde) und es erschien ihm unmöglich, an einem Uni-Seminar teilzunehmen, die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmittel zu bezahlen und eine Energie aufzubringen, die er nicht zu haben glaubte.
Ich dachte, dass er vielleicht interessiert wäre, wenn ich ihn einfach nur bat, Zeit mit uns und der Kamera zu verbringen, ohne dass er dafür weite Strecken zurücklegen müsste. Er stimmte zu, unter der Bedingung, dass er sich nicht am Schneiden des Films und an langen Treffen und konzeptionellen Diskussionen beteiligen müsste. Und er stellte eine weitere Bedingung: „Haltet mir nicht die Kamera ins Gesicht“. Ich erklärte ihm, dass er anonym bleiben könnte. Aber sein Problem war nicht, dass er seine Identität nicht preisgeben wollte, oder seine Homosexualität, über die nicht offen gesprochen wurde.
Als ich ihn bat, zu erklären, warum er nicht wollte, dass wir ihm „die Kamera ins Gesicht halten“, wich er der Frage mit seinen üblichen „phallischen Bemerkungen“ aus. Inzwischen vermute ich, ohne ganz sicher zu sein, dass seine Bedenken sich darauf bezogen, zum Objekt, zum „leidenden Flüchtling“ gemacht zu werden: Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits genug „Viktimisierung“ erlebt, hatte sich gegenüber den Behörden selbst in diese Rolle begeben müssen. Und dann gab es noch eine „zweite Viktimisierung“: das bürokratische Wartespiel, dass er mit dem Jobcenter spielen musste.
Er wollte wohl vermeiden, in einem Dokumentarfilm über Geflüchtete aufzutauchen, von dem er dachte, dass dieser, wenn auch gut gemeint, seinem Fall nicht gerecht werden würde, und der letztlich einer ihm fremd erscheinenden politischen Debatte diente, in der er selbst nur eine Zahl war. Vor allem aber hatte er das Gefühl, dass sich dadurch nichts an seiner eigenen Situation ändern würde, außer ihn Zeit zu kosten. Er schlug vor, dass wir, wenn wir schon die Gelegenheit hatten, einen Film zu machen, das größere Thema der doppelten Diskriminierung schwuler Geflüchteter aufgreifen sollten: einerseits die Erfahrung von Krieg und Flucht, und andererseits die Diskriminierung durch andere Geflüchtete, von denen die meisten extrem homophobe Rhetorik und Praktiken reproduzierten.
Bedeutsame Orte
Zeynep hatte als Ort für ihr Porträt ihre Wohnung und ihre Nachbarschaft gewählt, da sie meinte, dort auf eine Art ihre Lebenswelt reproduzieren zu können. Am Tag des Filmens tauchte Eli nicht auf und unsere Zeit war knapp. Zeynep gab mir eine Führung durch ihr Zimmer und erzählte mir von den Erinnerungen, die sie mit verschiedenen Gegenständen verband. Danach wollte sie Parks und Spielplätze in ihrer Nachbarschaft filmen und einen Spielzeugladen, den sie sich, wie sie sagte, gern anschaute.
Elis Erfahrung dagegen war ziemlich losgelöst von der Stadt, sie war gewissermaßen „enträumlicht“. Er hatte bisher keine Beziehung zu einem spezifischen Ort aufgebaut, da er seit fünf Monate mit geliehenem Geld in Berlin lebte und ohne dass es ihm gelungen war, eine eigene Wohnung zu finden. Er war vorübergehend bei seinem Ex-Freund untergekommen und vermied es, viel Zeit dort zu verbringen. Der Eindruck, nicht willkommen zu sein, erzeugte in ihm ein Gefühl der Entfremdung. Davon abgesehen wusste er nur, dass er Neukölln und seine arabische Community hasste, zu der er sich nicht zugehörig fühlte, gar nicht zu sprechen vom dortigen Jobcenter, wo er von Moabit aus mehrmals in der Woche hinfahren musste. Aus all diesen Gründen lehnte er es ab, in Neukölln gefilmt zu werden. Letztendlich entschieden wir uns, ihn am Nollendorfplatz zu filmen, in dessen Bars und Cafés er manchmal seine freien Stunden verbrachte.
Mein eigener bedeutsamer Ort war der Mauerpark, ein Ort wo eine typische Berliner Jugendkultur inszeniert wird und wo ich einen Widerspruch fühlte: während dieser Ort einerseits versucht, eine Atmosphäre völliger Offenheit und Freiheit zu vermitteln, gibt es dort andererseits subtile Muster der Ausgrenzung, da man dort vor allem eine europäische Jugend findet. An jenem Tag filmten wir mit meinem Handy, genau wie bei den Protesten vor der türkischen Botschaft gegen Erdogans Verbot einer Gay-Pride-Parade. Zeyneps türkischer Hintergrund und der Kontrast zwischen ihrer Erfahrung und der von anderen türkischen Migranten und Deutschtürken wäre ein weiteres interessantes Thema, das man vertiefen könnte, aber wir sprachen nicht darüber.