Wussten Sie, dass geriebener Schwarzkümmel mit Honig in Syrien als Stärkungsmittel für Kinder dient? Dass in Italien Lorbeerblättertee mit Zitrone und Honig gegen Bauchschmerzen getrunken wird? Dass in Persien Frauen im Wochenbett traditionell Kümmel und Fenchel zu essen bekommen und Wassermelone bei Fieber angeboten wird?

Hausmittel sind in aller Regel leicht anzuwenden, Wirkungsvoll und preisgünstig. Außerdem nutzen sie Materialien, die sich im Haushalt oder im Garten finden oder in der Nähe gekauft werden können. Während im europäischen Raum seit dem Altertum Zwiebel, Knoblauch oder Kümmel verwendet werden, gibt es Hausmittel wie Heilerde, Senfmehl oder Natron, deren positive Wirkung unterschätzt wird, und andere Hausmittel wie Schwarzkümmel, Ingwer oder Sheabutter, die man in gut sortierten Supermärkten, Asia-Läden, arabischen oder türkischen Geschäften findet und die folglich neue Möglichkeiten zur Selbsthilfe eröffnen.

Hausmittel sind auch Bedeutungs- und Erlebnisträger: Durch den Kontext der Verwendung und durch die Gefühle und Empfindungen, die damit zusammenhängen, wird Ihnen Bedeutung zugeschrieben – sei es unmittelbar im Moment der Anwendung, wenn eine gute Seele den Tipp mitteilt, oder durch die hervorgerufenen heilsamen Erinnerungen, wenn man sich die Wirkung der Hausmittel vorstellt und sie dann zubereitet und zu sich nimmt. Die Selbstheilungskraft wirkt nicht weniger als der Wirkstoff selbst.

Für das Gesundheitswissen spielt „Networking“ durch Kommunikation und Austausch mit anderen eine große Rolle. Es dient dem Informationsfluss, der zur Weitergabe, Erhaltung und Weiterentwicklung des alten und neuen Wissens beiträgt. Es sind vor allem Frauen, die sich zu diesen Fragen austauschen und dieses Wissen nutzen, sind sie doch in vielen Kulturen mit der Gesundheit der Kinder und anderer Verwandten beschäftigt. Daher verfügen sie über Gesundheitskompetenz und Kenntnisse zur Selbsthilfe.

In dem Buch Hausmittel aus Aller Welt[1] finden Sie Rezepte und Überliefertes aus mehreren Workshops und zahlreichen Gesprächen, in den sich Frauen aus verschiedenen Ländern über Gesundheit, ihre persönlichen Erfahrungen und Empfehlungen ausgetauscht haben. Hausmittel und Erfahrungen wurden gesammelt, geprüft und niedergeschrieben. Dieses Buch soll die Verbreitung von Informationen durch ein „heilsames Update“ des alltäglich nützlichen Gesundheitswissens unterstützen und fördern.

Das öffentliche Interesse an „exotischen“ Heilverfahren griff die Werkstatt Ethnologie auf und stellte im April 2012 eine medizinethnologische Ausstellung mit dem Titel „Sibyllenwurz und Speisedampf[2] – Heilmethoden mit Migrationshintergrund “ im Schillerpalais Berlin-Neukölln zusammen.

In dem mit illustrativen Gegenständen und erklärenden Texttafeln zum Thema TCM, Ayurverda, urbaner Schamanismus oder Candomblé gemütlich angelegten Raum wurde ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm mit Vorträgen, Filmen und mehreren Workshops (z. B. Ayurvedisches Kochen, Kräutermedizin, Handakupunktur) angeboten. Dazu gehörte ein Filmprojekt in Kooperation mit dem Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der FU Berlin, für das Studierende sieben filmische Porträts über HeilerInnen in Berlin gedreht hatten[3].

Einer der Workshops wurde für die Stadtteilmütter von Neukölln mit der Projektleiterin Maria Macher angeboten. Er trug den Titel „Hausmittel – viel Gesundheit für wenig Geld“ und zählte für die zweisprachigen Vermittlerinnen von transkultureller Alltagskultur als Teil einer Fortbildung im Bereich Gesundheit und Selbsthilfe. An drei Vormittagen sollten die Frauen etwas über naturheilkundliche Selbsthilfestrategien lernen und sich darüber austauschen, wie in ihrer Heimat traditionell und dann in Berlin leichtere Erkrankungen behandelt wurden. Für die Leitung konnte die Werkstatt Ethnologie Dr. Annette Kerckhoff von Carstens-Stiftung : Natur und Medizin gewinnen.

Es kamen 20 Frauen mit türkischem und arabischem Hintergrund (Ägypten, Libanon, Marokko, Palästina, Syrien, Tunesien), andere Teilnehmerinnen stammten aus Osteuropa (Lettland, Ukraine), Asien (Bangladesh, Sri Lanka, Thailand), Indonesien, Afrika (Burkina Faso, Ghana), Frankreich und auch einige aus Deutschland.

 

©Marion Kaden

Bereits als die Teilnehmerinnen beim ersten Termin den Raum betraten, fiel auf, wie individuell und farbenfroh sie gekleidet waren. Jede kam gleichermaßen mit ihrer besonderen Erfahrung. Die Atmosphäre war gelöst und entspannt, man setzte sich um den Tisch, auf dem farbigen Blätter für Notizen lagen, außerdem zahlreiche Gewürz- und Teeproben.

  1. aus Bangladesh erzählte z.B.: „Bei uns ist Rapsöl sehr wichtig – für alle von Babys bis zu alten Leuten. Wir verwenden das Öl zur Massage zur Entspannung für Babys, wir massieren uns auch bei Erkältungen damit vor der Dusche. Hände und Füße werden mit warmem Öl massiert. Wenn man Ohrenschmerzen hat, nutzt man warmes Rapsöl mit Knoblauch und tropft es ins Ohr. Dieses Öl verwenden wir auch für das Essen: für Nudeln, überbackene Kartoffelklößchen, Salat und viele andere Rezepte“. So wichtig wie das Rapsöl in Bangladesh ist die Sheabutter in Westafrika, wie A. aus Burkina Faso erläuterte: „Bei uns wird Sheabutter verwendet, für kleine Kinder bis zu Erwachsenen. Bei kleinen Kindern heißt es, dass sich die Knochen verstärken, wenn man sie damit massiert. Wir nehmen die Sheabutter zur Massage, z. B. gegen Müdigkeit. Wenn wir müde sind, reiben wir den ganzen Körper mit Sheabutter ein und duschen dann mit warmem Wasser.“

Für die Teilnehmerin aus Bangladesh ist Rapsöl Teil ihres Alltags und dessen Anwendung sowohl äußerlich als auch innerlich wichtig. Hausmittel können bereits vor der Wirkung des Wirkstoffs selbst zur Selbsthilfe und zum eigenen Wohlbefinden und dem von anderen, damit auch zum Miteinander, beitragen. Diese Gruppendynamik und Zirkulation von Informationen und Erfahrungen an sich ist schon gesundheitsfördernd und diese dreimal dreistündigen Workshops haben uns Organisatorinnen und einigen Teilnehmerinnen, denen wir noch begegnen einen unvergänglichen positiven Eindruck hinterlassen und trotz Sprachschwierigkeiten Nähe und Reziprozität verschafft. Aus anthropologischer Sicht verspricht die wissenschaftliche Erforschung dieser Dynamik verwertbare Daten und praxisorientierte Inhalte, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Praxis der Selbsthilfe unter Frauen aus verschiedenen Kulturen deuten können. Ein starkes Medienecho auf die Publikation und viele Nachfragen zeigten das große Interesse an mündlich überliefertem Gesundheitswissen im interkulturellen Kontext. Es hat die Autorinnen Annette Kerckhoff und Caroline Contentin el Masri darin bekräftigt, in den Folgejahren weiter an dem Thema Selbsthilfestrategien zu arbeiten. Geplant ist eine Darstellung als Webserie mit partizipativen anwendungsorientierten Filmen und knappe „lectures“ dazu.

Caroline Contentin el Masri und Annette Kerckhoff

 

Wir freuen uns auf Ihre Erfahrungen, Anregungen und Kritik unter

#hausmittel, #allerwelt, #frauenberichten, #hausmittelupdate (über die Facebook-Seite)

info@werkstatt-ethnologie.de

a.kerckhoff@naturundmedizin.de

 

[1] Kerckhoff, A., Contentin el Masri, C. 2016: Hausmittel aus aller Welt. KVC Verlag, Essen. Das Buch ist unter dem folgenden Link zu finden : https://www.kvc-verlag.de/shop/Naturheilkunde-fuer-zuhause/Hausmittel-aus-aller-Welt::224.html?MODsid=5c892e30af9fb4a46e219c456cab13d4

[2] „Die Sibyllenwurz“, bekannter unter dem Namen Kreuzenzian, ist ein europäisches Heilkraut, in vorchristlicher Zeit auch als Zauberkraut angesehen. „Speisedämpfe“ ist nach Prof. Dr. Paul Unschuld die wörtlichste Übersetzung des chinesischen Begriffs „Qi“ (auch als Lebensenergie bezeichnet).

[3] Die DVD „Sibyllenwurz und Speisedampf“ kann über die Homepage www.werkstatt-ethnologie.de bestellt werden. Siehe auch Hirsch E, Contentin el Masri C: Sibyllenwurz und Speisedampf. Bericht über die Ausstellung der Werkstatt Ethnologie Berlin vom 23.04.2012–11.05.2012. Curare – Zeitschrift für Medizinethnologie, Journal of Medical Anthropology. 2013; 36 (3): 180–186.

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