Ina Raterink
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Bei diesem Dokument handelt es sich um Original-Forschungsmaterial, das nicht übersetzt und nicht lektoriert wurde.
Berlin, 04.12.2019: In einem Friseursalon in Prenzlauer Berg hat jede*r Friseur*in viel zu tun. Im knapp 25 qm großen Frisierraum des Geschäfts finden fünf Kundinnen und Kunden Platz. Durch große Schaufenster lässt sich die Arbeit der Frisierenden von der Straße beobachten. Aus dem Salon hinaus schauend scheint das bunte Treiben der vierspurigen Straße plötzlich weit entfernt und surreal. Direkt neben dem Eingang befindet sich linkerhand ein kleiner Tresen, hinter dem Kasse und Telefon Platz finden. Rechts ein schwarzes Ledersofa für die Wartenden. Geradeaus gibt es zwei Frisierplätze an der Wand. Schräg links hinter dem Tresen befindet sich mitten im Raum eine Art Rondell aus Spiegeln und Ablageflächen. Dieser runde Frisiertisch bietet Platz für vier weitere Kunden und Kundinnen. Obwohl der Tisch rund ist, bilden die Spiegel eine Art Grenze zwischen den Kundinnen.
Es riecht nach dem Ammoniak einer Blondierung und einem Hauch frisch gebrühten Kaffees. Im hinteren Raum, in dem Haare gewaschen werden, duftet es nach fruchtigen Haarpflegemitteln.
„Die Chefin hat vor ein paar Tagen alles neu dekoriert“, sagt eine Friseurin und zeigt auf moderne Dekorationselemente, die die Wände schmücken. Abstrakt wirkende Körbe hängen neben rankender Plastikpflanzen, deren Weihnachtlichkeit nur durch kleine farbliche Akzente und winziger Nikoläuse aus Holz angedeutet werden. In den Ecken stehen große Vasen mit Trockenblumen und langen Gestecken, in denen sich das Thema des Korbes wiederfindet.
Das Licht im hinteren Raum ist gedämpft. Für die Entspannung bei der Haarwäsche sorgen bequeme Sessel. Die Beine lassen sich auf kleine schwarze Hocker aus Kunstleder platzieren. Die Handtücher sind rot und dunkelgrau und riechen frisch gewaschen. In dem Regal hinter den Waschbecken befinden sich sauber aufgerollt in den unteren Fächern viele davon. Die oberen Fächer sind voll mit Shampoo, Conditioner, Bürsten und Haarkuren.
Die Gespräche im vorderen Raum lassen darauf schließen, dass sich die Menschen kennen. Smalltalk – Themen wechseln sich mit vertrautem Schweigen und intimeren Inhalten ab. Die Weihnachtszeit macht sich anhand der Themenwahl bemerkbar: Vom Einkaufsstress über die gleichzeitige Unwichtigkeit von Geschenken bis hin zu Gründen für das Brechen mit der eigenen Familie. Es sind freundschaftliche Gespräche, die trotz persönlicher Inhalte eine gewisse Distanz wahren und eine eher oberflächliche Verbindung vermuten lassen. Vielleicht sind die Personen Stammkund*innen oder pflegen eine sporadische Freundschaft.
Die Alufolienstreifen in den Haaren einer Kundin rascheln, als sie sich vorbeugt, um ihren Kaffee zu nehmen. Sie bekommt Strähnen, die einige Töne heller sind als ihre Haare. Am Nachbartisch trinkt eine Kundin Erkältungstee, hustet und unterhält sich mit ihrer Friseurin über die Farbe in ihren Haaren. Ein neues Rot soll es werden. Beide lachen und scheinen gespannt auf das Ergebnis zu warten.
Eine Friseurin erzählt einer Kundin offen von ihrer
Transsexualität. Sie ist dabei humorvoll, lacht viel. Ihr Sarkasmus wirkt
mitunter zynisch. Sie erzählt von den Problemen, die das neue Leben als Frau
mit sich bringt. Von den Schwierigkeiten, die es wegen der Operationen gab,
über gescheiterte Beziehungen und alltäglicher Diskriminierung. Im Salon
scheint keiner ein Problem damit zu haben. Ein Kollege macht Witze auf Kosten
ihrer Person. Sie lacht ehrlich, herzhaft und reagiert schlagfertig.
Der Ton unter den Friseuren/ Friseurinnen ist berlintypisch rau, aber herzlich
und humorvoll.
„Kann ich dir mal deine Klammern klauen? Ich hab keine
mehr.“
„Klar. Ich glaub aber inzwischen, dass du gar keine eigenen mehr hast und mir
immer nur meine klaust, weil die besser sind.“ Daraufhin lachen alle.
Ein Fön ertönt. Die Gespräche setzen kurz aus, um dann
lauter weitergeführt zu werden. Ein Friseur scheint organisatorisch aktiver zu
sein als die anderen. Er informiert alle über ihren weiteren Tagesverlauf,
nicht ohne auch ein wenig Druck auszuüben:
„Du hast gleich noch einen Termin und im Anschluss noch zwei weitere. Dein
erster Termin wartet schon seit zehn Minuten.“ teilt er seiner Kollegin mit,
die noch nicht mit ihrer Kundin fertig ist. Die Friseurin wird daraufhin etwas
nervös, bricht das Gespräch abrupt ab und schneidet schnell zu Ende. Neben der
vordergründigen Entspannung, ist hintergründig ein Termingeschäft zu erledigen,
welches eine stressige Dynamik mit sich bringt. Die Kundin muss sich
schließlich die Haare selbst föhnen, damit die Friseurin ihren Terminen gerecht
werden kann.