Jana Degebrodt
This document is original research material that has not been translated or edited.
Bei diesem Dokument handelt es sich um Original-Forschungsmaterial, das nicht übersetzt und nicht lektoriert wurde.
Als ich vor dem Salon ankomme, fallen mir im Schaufenster antike Geräte, wie Glätteisen und Trockenhauben auf. Geräte, wie sie vor Jahrzehnten für das Handwerk von Friseur*innen genutzt wurden. Es gibt keine Werbung im Außenbereich und es weist nur die Schaufenster-Dekoration und ein Schild „Friseur“ auf den unscheinbaren Salon hin. Nach dem Betreten des Salons steigt mir sofort ein Ammoniak-ähnlicher Geruch in die Nase, der mich an Friseurbesuche in meiner Kindheit erinnert. Die Friseurin meint später lachend zu mir, dass es sich um „Dauerwellengeruch“ handelt. Die Einrichtung besteht aus zwei Waschbecken und drei Stühlen mit Spiegeln davor, wo die Kund*innen frisiert werden und einem großen Tresen, wo gezahlt und Termine vereinbart werden.
Es sind drei ältere Damen und zwei Friseur*innen im Salon, meine Freundin Ella (alle im Text genannten Personen wurden anonymisiert), die hier vertretungsweise arbeitet, und die Betreiberin Eveline. Mir wird erklärt, dass ein Waschbecken ein Vorwärts-Waschbecken ist, da einige Kund*innen bei den Rückwärts-Waschbecken nur schwer wieder hochkommen. Die Wände sind mit Marmorplatten verziert, es gibt keinerlei Werbung und alles sieht sehr sauber, aufgeräumt und edel aus. Jedoch scheint die Einrichtung schon viele Jahrzehnte dieselbe zu sein. Dies wird von der Betreiberin mit dem Zusatz, dass das früher sehr modern und teuer war, bestätigt. Wir sprechen über die antiken Geräte im Schaufenster, die erst kürzlich wieder dort hingelegt wurden. Es gab in der Vergangenheit einen Einbruch, weshalb die Betreiberin Angst hatte und um einen erneuten Einbruch zu vermeiden, die gesamte antike Dekoration entfernte. Eine Rollstuhlrampe und Sitzkissen in Keilform wurden für das meist über 50 Jahre alte Klientel angeschafft. Laut Ella kommen aber ab und zu auch jüngere Kund*innen. Auf dem Tresen im Salon stehen Orchideen und kleine Weihnachtsmänner, Engel und andere weihnachtliche Dekoration. Die Dekorationselemente wurden über die Jahre von den Kund*innen mitgebracht. Es gibt auch eine Sammlung für Ostern und andere Feiertage. Die zumeist weiblichen Kunden bringen häufig Kaffee, Schokolade, Kekse und Sekt als Geschenke mit. Auch bei meinem Besuch wird Sekt getrunken. Ella erzählt mir lachend von einem Spruch „Wenn der Friseur nicht säuft, ist es, als wenn der Föhn nicht läuft“. Die Kund*innen meinen dazu, dass der Sekt auch gut für den Kreislauf sei und die Gesichtsfarbe dann nicht mehr so blass ist. Weiterhin bringen sie Zeitungen mit, die sie nach ihrem Besuch im Salon lassen, weshalb Eveline keine kaufen muss. Auch Flyer für Seniorenveranstaltungen werden ausgelegt. Ella gefällt der große Tresen, weil dieser eine Abgrenzung zu den Kund*innen darstellt und sie bei dem räumlichen Abstand zu ihr „auch irgendwann endlich wieder gehen“.
Die Kund*innen und Eveline kennen sich gut, die meisten kommen seit 40 Jahren einmal die Woche und Termine von Kund*innen, die befreundet sind, werden zusammengelegt. Dadurch findet ein wöchentlicher kommunikativer Austausch statt und eine Kundin meint, „wenn mal jemand fehlt, fällt das auf“. Trotz langjähriger Beziehung Siezen sich alle, obwohl sich Ella und ihre Chefin in Abwesenheit der Kund*innen mit „du“ anreden. Ella erzählt mir, dass Eveline meist an drei Köpfen gleichzeitig arbeitet und Frisuren von ihr im 20-min-Takt gemacht werden. Die Damen müssen bei ihren wöchentlichen Besuchen keinen Frisurenwunsch äußern, sie und Eveline kennen jeden Wirbel und Problemzonen. Sie möchten wie immer aussehen und wünschen keine Veränderung. Ella meint, sie haben ihr Optimum gefunden und sehen immer so frisch frisiert aus, als trugen sie Perücken. Die meisten Kund*innen besitzen zu Hause kein Shampoo und waschen sich die Haare nicht selbst. Wenn Eveline nicht da ist, malt sie Ella für die Vertretung Schemata auf, wie die Stammkund*innen ihre Haare frisiert bekommen möchten. Die im Salon verwendeten Produkte sind „erprobt“ und werden seit je her verwendet. Es gibt keinen Friseurvertrag und die Produkte werden aus der Drogerie geholt. Manchmal werden Produkte auch von Kund*innen mitgebracht. Wichtig ist den meisten Kund*innen, dass die Haare glänzen und Ella erwähnt, dass die meisten wohl am liebsten noch das gute alte Zuckerwasser oder Pomade benutzen würden. Wenn Kund*innen nicht in den Salon kommen können oder wollen, bieten Ella und Eveline auch Hausbesuche mit einem mobilen Waschbecken an. Ella meint, dass ist ein allgemeiner Trend wie die derzeitig zunehmenden „Barbershops“. Bei solchen Hausbesuchen gibt es oft Klingelzeichen und eine telefonische Vorankündigung wird gewünscht, damit niemand Unerwartetes kommt und die Wohnung aufgeräumt ist. Manchmal ist auch eine Nachbarin dabei, die in das Geschehen mit eingebunden wird. Kund*innen erzählen, dass sie vor dem Ehemann aufstehen und sich hübsch machen und abends nach ihm schlafen gehen. Somit treten sie immer adrett und nie ungepflegt vor ihren Mann. Bezahlt wird bar, es gibt ein altes Kassengerät und ein Kassenbuch.
Meine Beobachtungen und Gespräche zeigten, dass der Salon nicht nur ein Ort der Schönheit, sondern auch ein sozialer Raum des Treffens und der Kommunikation ist. Das zeigen auch die mitgebrachten Flyer, Schokolade, Kaffee und das gemeinsame Ritual des Sekttrinkens während ihres Besuches. Durch die mitgebrachten Dekorationsfiguren bringen sie persönliche Dinge in den öffentlichen Raum ein. Die anwesenden Kund*innen mögen Beständigkeit und keine Veränderung in Bezug auf ihre Frisuren. Es scheint ihnen wichtig zu sein, für sich und ihren Ehemann stets gut auszusehen.
Der Salon hat mittlerweile geschlossen, da die Betreiberin Eveline in Rente gegangen ist.