Feldnotizen von einem Beauty Salon am Ku‘damm

Jasmin Golczyk

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Bei diesem Dokument handelt es sich um Original-Forschungsmaterial, das nicht übersetzt und nicht lektoriert wurde.

Dienstag, den 10.12.2019, 16 Uhr: „Kalt ist es geworden“, denke ich und kämpfe mich mit frierenden Händen durch den – dem vorweihnachtlichen Kaufrausch verfallenden Feierabend-Trubel auf dem Kurfürstendamm. Ich erreiche den Beauty Salon. Im Zuge der zu erarbeitenden Recherche-Arbeit habe ich telefonisch einen Termin für ein sogenanntes „Augenbrauen-Styling“ vereinbart.

Von außen wirkt „Beauty ****“ fast unscheinbar. Es verschwindet förmlich zwischen den zwei pompösen Restaurants, die sich links und rechts von der kleinen Tür des Salons auftürmen. Ich öffne die Tür, hinter der sich ein lichtdurchfluteter, gar ungewohnt edel anmutender Empfangsbereich mit in unterschiedlichen Brauntönen gehaltenem Interieur verbirgt. Ich bin allein. Weder hinter dem Tresen, noch im Wartebereich, der sich in einer kleinen Nische neben der Eingangstür befindet, ist jemand zu sehen. Wo sind denn alle? Wo sind die Liegen und Spiegel? Ich rufe: „Hallo?!“ – und bahne mir meinen Weg zum Empfangstresen. Der Salon ist sehr warm, meine noch kalten Finger kribbeln. Überall stehen sorgfältig zusammengestellte Blumenbouquets aus creme- oder bordeaux-farbenen Windröschen und Lilien. Ich bin mir nicht sicher, ob es echte oder künstliche Blumen sind – auffällig ist nur die farbliche Abstimmung eines einzelnen jeden Details zum anderen. Plötzlich fühle ich mich unwohl. Bin ich nicht maßlos „underdressed“ für einen so schicken Ort?

Etwa eine Minute, nachdem ich auf mich aufmerksam machte, ragt der Kopf einer Mitarbeiterin um die Ecke und flötet: „Momentchen noch, es ist gleich jemand für dich da! Setz dich doch kurz. Möchtest du einen Kaffee oder Tee?“ Ich lehne dankend ab und setze mich auf die beige Couchgarnitur und betrachte die auf einem großen, runden Messingtisch vor mir stehenden Karaffen mit Wasser. In der einen schwimmt eine große Zitronenscheibe, in der anderen fünf hauchdünn-geschnittene Gurkenscheibchen. Gurkenwasser. Das kannte ich bisher nur aus US-Amerikanischen Hollywood-Filmen. Wieder beschleicht mich das Gefühl, fehl am Platze zu sein. Mein Blick fällt auf den abgesplitterten Nagellack an meinen kurz-geschnittenen Fingernägeln. Hätte ich mich vor dem Termin im Schönheits-Salon wohl besser „schön“ machen sollen?! Der Gedanke ist absurd. Welchen Zwängen, welcher Erwartungshaltung sehe ich mich hier unterworfen?! Neben der Gemüsewasser-Aufbereitung strahlt mir eine blonde Frau mit auffällig weißen Zähnen auf einem kleinen Werbeaufsteller entgegen. „Hydro-Facial Anti-Aging mit Enzymatischem Peeling“, steht da unter dem Gesicht, „nur 125 Euro“.

Ich lasse meine Blicke durch den Wartebereich schweifen. Die obligatorischen Buddha-Figuren stehen neben Duftstäbchen, die dem Raum einen angenehm holzig-winterlichen Duft von Bergamotte verleihen. Wäre mir das stilvolle Arrangement des Salons aufgefallen, wenn ich nicht mit dem Ziel einer Teilnehmenden Beobachtung hergekommen wäre – oder wäre ich eher damit beschäftigt gewesen, auf mein Handy zu schauen und damit meine Umwelt, all die Gerüche und Eindrücke, die dieser Raum zu bieten hat, vollkommen zu ignorieren?

Erst jetzt registriere ich die leise Radiomusik. Im Takt des Liedes nähert sich das rhythmische Klackern von hohen Absätzen. Eine große, schlanke Frau nähert sich und streckt schon von weitem ihre Hand nach mir aus. „Hallo, bitte entschuldige, dass das so lange gedauert hat. Ich bin Tatjana. Wir sind heute nur zu zweit. Typisch Erkältungszeit halt.“ Ich nicke und lächele verlegen. Tatjanas Auftreten strotzt vor Selbstbewusstsein. Tatjana ist die Verkörperung dieses Salons. Edel und anmutig.  Wir gehen zum Tresen. „Du bist Jasmin, richtig? Ah, ja! Für die Augenbrauen…“, sie schaut mir ins Gesicht, „ja, da kann man wirklich mal was machen!“ Ich lächele wieder verlegen, doch diesmal merke ich, wie mir das Blut vor Scham in den Kopf schießt. „Keine Angst“, beruhigt sie mich, „komm mal mit! Deine Jacke kannst du hier aufhängen.“ Ich folge ihr in den hinteren Bereich des Salons, der mir bisher verborgen blieb. So hatte ich mir einen Beauty-Salon vorgestellt: drei große Liegen stehen neben drei kleinen Hockern. Der Raum ist deutlich steriler als der Empfangsbereich. Keine Kerzen, keine Duftstäbchen. Im Hintergrund vernehme ich leise Entspannungsmusik. Auf der vorderen Liege liegt eine Kundin, die sich ihre Lippenkontur nachstechen lässt. Sie unterhält sich mit der dunkelhaarigen Dame, die mich zu Beginn noch um etwas Zeit gebeten hatte. Immer wenn sich die Tätowiermaschine ein paar Zentimeter von ihren Lippen hebt, führt sie das Gespräch fort bis sie wieder abrupt verstummt, sobald die Nadel auf ihre Lippen trifft. Die beiden wirken vertraut und obwohl die Behandlung sicher nicht schmerzfrei ist, scheint niemand ernsthaft angespannt zu sein.

Tatjana bittet mich auf die Liege und setzt sich auf den Hocker vor mir. Sie betrachtet meine Augenbrauen und zieht meine Haut in verschiedene Richtungen.  „Ohje! Wie lang zupfst du dir denn schon die Augenbrauen so furchtbar dünn?“ Tatjanas Stimme klingt in keinster Weise unfreundlich und doch fühle ich mich zum wiederholten Male aufgrund meines Aussehens beurteilt. Gar verurteilt. Der Geruch des Desinfektionsmittels, das an der Liege neben mir verwendet wird, sticht in der Nase. Das Gebrumme der Nadel klingt mir in den Ohren. Ich möchte gehen, ich fühle mich unwohl. „Naja, eigentlich gar nicht mehr seit den frühen 2000ern. Die sind irgendwann nicht mehr richtig nachgewachsen.“ Ich schäme mich für diesen spärlich behaarten Streifen über meinen Augenhöhlen. War das das Ziel dieser Recherche? Falle ich gerade aus meiner „Beobachterinnen“-Rolle und verliere die benötigte Distanz? Tatjana lacht. „Hach ja, die guten alten Gwen Stefani-Augenbrauen. Der Trend ist zum Glück vorbei. Also was ich dir vorschlagen kann, ist einmal, dass wir die Augenbrauen mit einem Permanent Make-Up nachstechen. Die Alternative dazu wäre, dass ich dir die Augenbrauen etwas in Form zupfe und färbe und dir dann zeige, wie du sie am besten mit einem Augenbrauenstift nach zeichnest, damit sie voller aussehen.“ Ich entscheide mich für letzteres. Ich erkläre ihr, dass ich das ja alles nur für eine Uni-Aufgabe tue. Tatjana lacht und fragt, was für ein komisches Fach ich denn studieren würde. Während ich erzähle, beginnt sie mit einer kleinen Pinzette meine Augenbrauen zu bearbeiten. Immer wieder fragt sie nach, ob alles okay sei und ob ich mich wohl fühle. Dabei massiert sie bedächtig mein Augenbrauen-Areal und meine Schläfen. Tatsächlich setzt langsam ein Gefühl der Entspannung ein. Das Gespräch der beiden Damen an der Nachbarliege wird immer leiser, während ich die Augen schließe und nur noch die sanften Töne aus den Lautsprechern neben mir wahrnehme. „Das war’s schon“, sagt Tatjana und reicht mir einen Spiegel. „Jetzt kannst du hier im hinteren Drittel nochmal mit einem Stift dran gehen und dann verändert das deinen ganzen Ausdruck. Augenbrauen sind so wichtig, das wird immer gern vergessen. Deine Augen kommen jetzt auch viel besser zur Geltung. Das sieht richtig schön aus – du hast eine tolle Augenform, so richtig mandel-förmig.“ Mir fällt auf, wie sich ihr Ausdruck bei der Betrachtung meines Gesichts innerhalb weniger Minuten geändert hat.

Vor der Behandlung fühlte ich mich einer knallharten optischen Kritik ausgesetzt, nach der Behandlung erhalte ich schmeichelhafte Komplimente für meine „neue“ Erscheinung.

Ich folge Tatjana zurück zum Empfangstresen, bedanke mich und bezahle, bevor ich mich wieder in die Kälte hinter der Tür dieses kleinen Mikrokosmos Schönheitssalon begebe.